Aug., 2023

„Stadt – Land – Fluss“ mal anders

Am 17. August waren zwölf Kinder im Alter von zehn bis vierzehn Jahren im Rahmen einer Exkursion der Ettlinger Kindersommer-Akademie zu Gast in der BAW. Dieses Ferienprogramm richtet sich speziell an wissbegierige Schüler, die v.a. zu naturwissenschaftlichen Themen mehr erfahren wollen.

Sowohl die Kids als auch ihre erwachsenen Begleiter waren von der Größe und Ausstattung des BAW-Geländes überrascht, von dem man normalerweise so gar nichts mitbekommt, auch wenn man schon mehrmals im gegenüberliegenden Klinikum zu Gast war!

Zunächst erklärte der Abteilungsleiter Wasserbau im Binnenbereich – Herr Prof. Dr.-Ing. Andreas Schmidt – in einem reich bebilderten Vortrag die Aufgaben der BAW: die Beratung und Unterstützung des Ministeriums und der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung beim Bau und Erhalt von Wehren, Schleusen, Brücken und Uferbereichen. Gerade die wirtschaftliche und ökologische Bedeutung der Binnenschifffahrt macht eine fundierte Forschung und Planung für die nächsten Generationen notwendig.

Anschließend konnte sich die Gruppe bei einer Führung durch die Hallen der BAW selbst ein Bild von den Versuchsanordnungen machen: Mitarbeiter der BAW erklärten den Schleusenversuchsstand (inkl. Größenvergleich mit einer Playmobil-Figur) und das riesige Rhein-Modell mit seiner maßstäblich nachgebauten, gebirgsähnlichen Sohle. Sogar Fische werden in einer anderen speziellen Rinne beobachtet: Die zusammen mit Biologen der BfG erarbeiteten Erkenntnisse sind Grundlagen für den Bau von Fischaufstiegsanlagen an den Bundeswasserstraßen. Der Höhepunkt und Abschluss der Führung war natürlich der Schiffsführungs-Simulator: die Kinder konnten eigenhändig mit dem Joystick ein Binnenschiff ums Deutsche Eck bei Koblenz steuern – gar nicht so einfach! Hier wird z.B. die Fahrdynamik von großen Güterschiffen erforscht, damit ihnen auch schwierige Manöver, z.B. die Einfahrt in eine enge Schleusenkammer, unfallfrei gelingen.

Schnell war dann das Ferienprogramm der Ettlinger Kindersommer-Akademie wieder zu Ende. Vielleicht ist ja bei dem einen oder anderen Besucher die Begeisterung für Themen des Wasserbaus hängengeblieben und wir sehen die Kinder in ein paar Jahren dann als Werksstudenten oder Ingenieure und wissenschaftliche Mitarbeiter wieder. Die BAW würde sich freuen!

Strömungsvergleichmäßigung in Dotationsbecken – BAWEmpfehlung geht online

Die Vergleichmäßigung von Geschwindigkeitsprofilen ist eine alte Frage des Wasserbaus: Störkörper, Zahnschwellen, Prallteller, Lochwände, Leitwände, Toskammern, Wirbelschächte, Diffusoren, … In der Geschichte des Wasserbaus wurden viele Wasserbauwerke entwickelt, um ein Geschwindigkeitsprofil zu vergleichmäßigen. Oder genauer gesagt: um die Sohle stromabwärts von Kontroll- oder Auslassbauwerken vor Erosion zu schützen, Sedimentationsprozesse in Kläranlagen zu optimieren oder ganz generell um Energie zu dissipieren.

                Die Fragestellung über die Vergleichmäßigung von Geschwindigkeitsprofilen ist durch die Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit an den Bundeswasserstraßen erneut aufgeflammt. In Dotationsbecken von Fischaufstiegsanlagen werden Durchflüsse von bis zu einigen Kubikmetern pro Sekunde aus Rohrleitungen in Fischaufstiegsanlagen geleitet. Es benötigt nicht viel Vorstellungskraft, dass solche Strahlen hohe Geschwindigkeiten und Turbulenz in der Fischaufstiegsanlage entstehen lassen. Keine guten Bedingungen für aufwandernde Fische! Aus diesem Grund ist es notwendig die Strahlen aus den Zuleitungsrohren im Dotationsbecken in eine gleichmäßige Strömung zu überführen. Dies mag prinzipiell mit erprobten Vergleichmäßigungselementen funktionieren, wäre da nicht der immense Platzmangel durch die angrenzende Infrastruktur von Wasserkraftanlagen, Wehranlagen oder Verkehrswegen an Fischaufstiegsanlagen. Für diese spezielle Aufgabe bedurfte es eines neuen Vergleichmäßigungselements!

                In einem Forschungsprojekt über Sonderbauwerke in Fischaufstiegsanlagen wurden an der BAW neue Lösungen für die Vergleichmäßigung der Strömung in Dotationsbecken entwickelt. Hierbei hat sich gezeigt, dass üblicherweise eingesetzte Vergleichmäßigungselemente häufig lange Dotationsbecken benötigen. Auf der Suche nach effizienteren Lösungen wurden im Rahmen einer Promotion ca. 300 Versuche in numerischen und gegenständlichen Modellen durchgeführt. Schlussendlich konnte festgestellt werden, dass statische Mischer – ursprünglich entwickelt für die materielle Vermischung von hochviskosen Flüssigkeiten – eine sehr effektive Vergleichmäßigung von Strahlen ermöglichen. Mithilfe einer Dimensionsanalyse konnten allgemeingültige Bemessungsregeln abgeleitet werden. Der Dotationsmischer, so haben wir den statischen Mischer für die Anwendung in Dotationsbecken getauft, kann prinzipiell an allen WSV-Projektstandorten eingesetzt werden. Wir sind sehr gespannt wie er sich in der Praxis bewähren wird.

Vergleichmäßigung eines Strahls mit statischem Mischer im gegenständlichen Modellversuch. Zwischen den Bildern liegt jeweils eine Zeitspanne von 0,5 s.

Die Bemessungsregeln wurden in einer BAWEmpfehlung zusammengefasst, die ab sofort auf der Webseite des Infozentrum Wasserbau (https://izw.baw.de/publikationen/empfehlungen/0/BAWEmpfehlung_Bemessung_Dotationsmischer_2023.pdf) oder des Repositoriums HENRY (https://hdl.handle.net/20.500.11970/112720) heruntergeladen werden kann. Eine ausführliche Beschreibung der Untersuchungen ist der Dissertation „Bemessung statischer Mischer für die Erzeugung gleichmäßiger Strömungen in Dotationsbecken von Fischaufstiegsanlagen“ nachzulesen (https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202307131313-0).

Starkregen ein toter Winkel der Wasserstraße – Der Fall: Stuttgart am Neckar

Den toten Winkel kennt man meist nur aus dem Straßenverkehr. Eine oft unbemerkte und doch potenziell fatale Gefahr. Ein Starkregenereignis kann durchaus einen ähnlichen Effekt auf die Wasserstraße haben. Inwiefern? Was ist zu tun? Das will ich heute erklären.

Vor einigen Jahren erreichte uns die Nachricht, dass es in der Stauhaltung Hofen am Neckar nahe der Stadt Stuttgart immer wieder zu unerklärlichen Wasserstandsanstiegen kommt. Vor allem im Sommer passierte es, dass der Wasserpegel plötzlich rasant anstieg und das Betriebspersonal der Staustufe nur noch nachträglich versuchen konnte die Schwankungen in den Griff zu kriegen, um die Schifffahrt möglichst nicht zu gefährden. Kleine Wasserstandschwankungen können ausreichen, dass der Platz unter Brücken für die Schiffe knapp wird oder sie den Grund des Flusses berühren. Eine Erklärung für die Schwankungen in Hofen musste her und meine Kolleg*innen machten sich auf die Suche.

Schnell stellte sich heraus, dass hier die Kanalisation von Stuttgart ihre Finger im Spiel hat.  Starkregenereignisse führen nicht immer zu Hochwasser und Überschwemmungen, sie können aber zeitweise unsere Kanalisation an ihre Grenzen bringen. So auch in Stuttgart. Tritt hier ein Starkregenereignis auf, so kann die Kanalisation nicht das komplette Regenwasser zur Kläranlage abführen, sondern das Wasser wählt gegebenenfalls den „Notausgang“.  Das heißt das Wasser wird aus der Kanalisation in den Neckar abgegeben. Gerade im Sommer, wenn der Neckar sowieso schon wenig Wasser hat, kann dies fatale Folgen haben. Es ist möglich, dass aus der Stuttgarter Kanalisation ein zehnmal größerer Abfluss kommt, als im Neckar selbst vorhanden ist. Für mich persönlich kaum vorstellbar, aber eine reale Tatsache und bestimmt kein Einzelfall. Ich reiste während meiner Masterarbeit nach Stuttgart und schaute mir diesen „Notausgang“, in der Fachsprache Entlastungsbauwerk genannt, einmal an:

Am rechten Uferrand, unmittelbar hinter der Bahnbrücke (oberhalb meines Ellbogens), erkennt man das Bauwerk. Sehr unauffällig gliedert es sich in die grüne Landschaft ein. Bahn- und Fahrradwege führen entlang und nur das Auge einer Fachperson lässt erahnen worum es sich handelt.

Genau an dieser Stelle rauscht also an regnerischen Sommertagen unbemerkt das überschüssige Wasser aus der Kanalisation in den Neckar? Die Untersuchungen zeigen: wellenartig strömt das Wasser den Neckar entlang und erreicht die Staustufe. Was tun? Es gibt eine scheinbar einfache Lösung. Schauen wir uns die Staustufe Hofen mal genauer an:

Das Wasser steht hier echt bis zum Rand, aber staugeregelte Wasserstraßen, wie der Neckar, sind mithilfe der Wehranlagen und Kraftwerksturbinen regelbar. Demnach kann das Betriebspersonal Einfluss auf den Wasserstand nehmen. Ist das Personal rechtzeitig informiert, ob und wieviel Wasser aus der Kanalisation in den Neckar kommt, so ist das Personal in der Lage vorrausschauend zu handeln. Bei Regelungssystemen ist diese Vorausschau entscheidend.  Dadurch ist es möglich, aktiv Wasserstandsschwankungen entgegen zu wirken und eine problemlose Schifffahrt sicherzustellen. Bildlich gesprochen, kann man sich für die Wasserstandsänderung schonmal bereithalten.

Die maximale Wassermenge, welche die Kanalisation an die Wasserstraße abgeben darf, ist zwar gesetzlich geregelt, der aktuelle Wert wird aber nicht gemessen. Deswegen haben sich im Rahmen des BMDV-Expertennetzwerks (Bundesministerium für Digitales und Verkehr) der DWD (Deutsche Wetterdienst) und die BAW zusammengeschlossen und ein Live-Prognosesystem für die Stauhaltung Hofen am Neckar entwickelt. Der DWD liefert die benötigten Regenprognosen und die BAW errechnet anhand eines Modells, wieviel Wasser in den Neckar abgegeben werden wird. Die Neckar AG, in den meisten Fällen verantwortlich für den Wasserstand, kann wiederum jederzeit auf die Prognose der BAW zugreifen. Die Neckar AG erhält die entscheidende Information und kann vorrausschauend handeln.

So ist ein beeindruckendes Forschungsprojekt entstanden. Der Fall um die Stauhaltung Hofen konnte gelöst werden und die Neckar AG kann derzeit vom neuesten Stand der Forschung profitieren. Ich durfte im Rahmen meiner Masterarbeit in das Thema einsteigen und bin nun seit Ende letzten Jahres als wissenschaftliche Mitarbeiterin der BAW mit an der Projektbearbeitung beteiligt.

Ich freue mich auf viele weitere spannende Herausforderungen und blicke schon sehr gespannt in Richtung Oktober. Zusammen mit meinem Kollegen des DWD darf ich dieses Projekt bei der zweiten Verkehrs- und Infrastrukturtagung des BMDV-Expertennetzwerks in Berlin vorstellen; hier der Link für mehr Infos zur Veranstaltung:

https://www.bmdv-expertennetzwerk.bund.de/VIT2023