Dez, 2020

Neue Mehrzweckschiffe des Bundes erreichen nächsten Meilenstein- Start der Modellversuche in der HSVA im November 2020 erfolgt

Mit dem Start der Modellversuche bei der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt (HSVA) am 30.11.2020 wurde gut 11 Monate nach erfolgter Vertragsunterzeichnung am 20.01.2020 ein weiterer, wesentlicher Meilenstein im Prozess der Planung und Konstruktion der neuen Mehrzweckschiffe des Bundes vollzogen. Mit erfolgter Freigabe der notwendigen Haushaltsmittel im Bundeshaushalt wurde im Juli des Jahres 2020 die bisherige Serie der zwei Mehrzweckschiffe um ein weiteres, auf nunmehr insgesamt drei Einheiten erweitert. Ein wirklich großer Schritt im Zuge der Modernisierung der Flotte der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) im Rahmen der Maritimen Notfallvorsorge. Der Auftragnehmer, die ABEKING & RASMUSSEN Schiffs- und Yachtwerft SE (im weiteren A&R genannt), am Stammsitz in Lemwerder an der Weser, sichert u.a. mit diesem Auftrag in Höhe von insgesamt 600 Mio. EUR Arbeit und Auslastung bis in das Jahr 2025 hinein. Im Zuge der nunmehr angelaufenen Modellversuche wurden die Ergebnisse der zuvor durch umfangreiche CFD Untersuchungen hinsichtlich des Widerstandes optimierten Schiffsform verifiziert. Darüber hinaus wurden Drehrichtungsuntersuchungen zur Ermittlung der Effizienz der beiden Ruderpropeller in Interaktion mit dem Schiffsrumpf für die diesbezügliche Entscheidungsfindung durchgeführt. Im Anschluss daran folgten die Propulsions- sowie Pfahlzugversuche. Durch diese werden, in der allerdings noch vorläufigen Prognose für die Großausführung, die gestellten Anforderungen zur Erreichung einer Probefahrtgeschwindgkeit von 15 Knoten sowie eines Pfahlzuges größer 1450 kN bestätigt.

Unter der Voraussetzung, dass die gegenwärtig laufenden Arbeiten im Zuge der Konstruktion trotz Corona bedingter Einschränkungen planmäßig voranschreiten, wird in etwa Mitte 2021 mit dem Brennbeginn für das Schiff 1 der erste Teil der Fertigung, der Bau des Schiffskasko, gestartet. Dieser wird von der UAB Western Baltija Shipbuilding in Klaipeda (Litauen), im Unterauftrag der A&R, ausgeführt. A&R ist während der gesamten Fertigung mit einem eigenen Projektteam zur Sicherstellung einer hohen Qualität vor Ort vertreten. Zudem wird das Projektteam der BAW gemeinsam mit dem Team der WSV die Fertigung begleiten und alle notwendigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung aus Sicht des Eigners sicherstellen. Das Fertigungskonzept sieht vor, dass der Neubau in einer sogenannten Blockbauweise mit seinen Großkomponenten einschließlich des LNG Tanks umfangreich vorausgerüstet, bis voraussichtlich März 2022 in Klaipeda entstehen wird. Für die weitere Ausrüstung und Komplettierung sowie sämtliche dann folgende Inbetriebnahmen, Erprobungen und Probefahrten wird das Schiff schwimmfähig und vollständig konserviert an die Weser überführt werden. Der Terminplan sieht vor, mit jeweils 9- monatigem Nachlauf die Mehrzweckschiffe 2 und 3 in der Fertigung folgen zu lassen. Die Ablieferung des Mehrzweckschiffes 1 ist aus heutiger Sicht für das 3. Quartal 2023 vorgesehen. Die drei neuen Mehrzweckschiffe ersetzen jeweils die vorhandenen Schiffe Scharhörn, Mellum und Neuwerk. Sie werden die Flotte des Bundes der LNG betriebenen, seegehenden Spezialschiffe auf insgesamt vier Einheiten erhöhen.

Quelle: P. Neumann/A&R

Die morphodynamische Oder

An einigen der Flüsse, die die BAW in den Blick nimmt, reden wir von einer hohen „Morphodynamik“. Was soll das sein? Morphologie, kennen viele – aber mit unterschiedlicher Bedeutung. Immer geht es aber um Gestalt: von Lebewesen, von Wörtern oder eben von der Erdoberfläche. Zu der gehören auch Flüsse mit ihrem Gewässerboden, ihren Ufern und Vorländern. Die Veränderung dieses Gewässerbetts durch die Strömung und dadurch ausgelöste Umlagerungen von sogenannten Feststoffen (z. B. Sand und Kies) wird in der BAW untersucht, auch um zu helfen, die Flüsse als Verkehrsweg sicher und verlässlich nutzen zu können. Dort, wo die Oder am Rande von Deutschland fließt, wandern im Fluss große Unterwasserdünen, die eine starke Veränderlichkeit des Gewässerbodens im Verlaufe des Jahresgangs hervorrufen.

Meist sieht man diese Veränderungen nicht. Manchmal wachsen jedoch die Dünen oder Bänke (Oberbegriff Transportkörper) so hoch, dass sie kurz unter der Wasseroberfläche sichtbar sind oder bei fallendem Wasserstand sogar aus dem Wasser herausschauen – wie hier am 25.9.2015 im Bereich eines später gebauten Parallelwerks.

Sehr gut kann man Morphodynamik im Bereich eines gerade abgeschlossenen Projektes an der Oder beobachten: https://izw.baw.de/publikationen/bawaktuell/0/BAW_Aktuell_03_2020_Web.pdf Seite 13 und https://www.gdws.wsv.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/_GDWS/WSV_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3 S. 94-95. Bei Reitwein wurden bei Od-km 605 defekte Buhnen durch ein gegliedertes Parallelwerk ersetzt. Obwohl die Baumaßnahme 2019 noch nicht vollständig fertiggestellt war, kann man in den Luftbildern der WSV schon Topografieumgestaltungen erkennen, die auf die neuen Bauwerke zurückzuführen sind. So hat sich zum Beispiel zwischen zwei Parallelwerksöffnungen in Folge der dort kräftigen Strömung eine Rinne gebildet, die am 9.7.2019 bei Niedrigwasser noch durchströmt wird. Im unteren Bild erkennt man auch, dass hinter dem Parallelwerk das sandig-kiesige Bodenmaterial in Form von kleinen Dünen bewegt wird.

Zur Rinne strömt Wasser durch die oberstromige Öffnung im Parallelwerk und durch die nächste unterstromige Öffnung wieder dem Hauptstrom zu. Je nach Größe des Abflusses in der Oder bestehen auch Strömungsverbindungen mit anderen ufernahen Bereichen und dieser Rinne bzw. wird der Bereich hinter dem Parallelwerk komplett überströmt.

Bei den Prognose-Untersuchungen der BAW an einem aerodynamischen Analogie-Modell konnten sich solche Rinnen nicht entwickeln, da der Modellboden aus unveränderlichem Material geformt wurde. Gleichwohl wurde die sohlennahe Strömung mit Hilfe von weißen Talkum-Tracern auf diesem schwarzen Modellboden aufgezeigt. Daraus konnte man eine Topografieumbildung abschätzen. In aerodynamischen Modellen wird das fließende Wasser mit Hilfe einer Luftströmung simuliert, blau sind Parallelwerk und andere neue Bauwerke. BAW-Untersuchungen siehe auch https://hdl.handle.net/20.500.11970/103847

Im Vergleich der Fotos von April (links) und Juli 2019 (rechts) bei mittlerem und niedrigem Abfluss erkennt man, dass sich bei steigendem Abfluss der Fluss weiterhin auch hinter dem Parallelwerk ausbreiten und den Gewässerboden dort gestalten kann. Rinnen mit unterschiedlicher Richtung sind die Folge. Diese entstehen aus der Wechselwirkung zwischen Ausgangsgeometrie, Strömungsangriff und erneuter Umlagerung des anstehenden Materials sowie dem Widerstand gegen die Umlagerung (z. B. durch Bewuchs). Dadurch kann die hohe morphologische Dynamik erhalten bleiben, die sich bei den zerstörten Buhnen gebildet hat und die diesem Uferbereich eine hohe ökologische Bedeutung gibt.

Im Bild oben rechts (Juli 2019) verhindert eine Sandbank im Fluss bei Niedrigwasser den Zulauf zur Einlaufschwelle. Dass im April 2019 Wasser einströmte, sieht man links gut an dem Strömungsmuster an der Wasseroberfläche und der Verformung der hinter der Einlaufschwelle unter Wasser erkennbaren Sandbank.

Man darf gespannt sein, welche Veränderungen sich in der Zukunft zeigen und welche Kenntnisse wir bei der Erfolgskontrolle gewinnen werden.