Jetzt geht ein Jubiläumsjahr der BAW zu Ende. Die BAW selbst besteht seit 75 Jahren und zählt als Nachfolgerin der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS), die im Jahre 1903 in Berlin gegründet worden war, mit 120 Jahren Erfahrung zu den ältesten Wasserbaulaboratorien der Welt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde auch die Forschungslandschaft Deutschlands gespalten. In Berlin und Potsdam wurde ab 1945 die Forschungsanstalt für Schifffahrt, Wasser- und Grundbau (FAS) als Nachfolgeeinrichtung fortgeführt. 1948 wurde die BAW wegen der großen Bedeutung einer effektiven wasser- und erdbaulichen Infrastruktur für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik als neue Versuchsanstalt in Karlsruhe mit einer Außenstelle in Hamburg gegründet, siehe auch https://izw.baw.de/publikationen/bawaktuell/0/BAW_Aktuell_03_2023.pdf und https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/baw-geschichte/.
Derzeit wird verstärkt der Fotofundus gesichtet, um das Bildmaterial im historischen Bildarchiv der BAW (https://izw-medienarchiv.baw.de/search) zugänglich zu machen. Um insbesondere die Fotos von spannenden Versuchsanlagen und Modellen fachlich einordnen zu können, ist das Gutachtenarchiv der BAW (EWISA) hilfreich. Hier findet man fast alle Gutachten – nur einige fehlen kriegsbedingt oder weil sie 1990 mit der DDR entsorgt wurden. Hier nur ein kleiner Einblick, der hoffentlich neugierig macht.
So ist im Wasserbau die große Anzahl der in den 1950er und 1960er Jahren von – verglichen mit heute – wenigen Ingenieuren (es waren tatsächlich alles Männer) erstellten Gutachten zu bewundern. Ein Versuchsingenieur, der 1955 in der FAS als Berufsanfänger begonnen hatte, war zwischen 1955 und 1959 an acht Gutachten beteiligt. Die früher kürzeren Bearbeitungszeiten im Wasserbau sind sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Aufträge zur Untersuchung oft erteilt wurden, wenn der Bau bereits begonnen hatte. Bauwerke wurden oft weniger als fünf Jahre nach Auslieferung des Gutachtens in Betrieb genommen.
Oft wurden verschiedene Fragestellungen eines Projektes an unterschiedlichen Modellen von einem Versuchsingenieur untersucht. Bei der Talsperre Spremberg sollten Kräfte und Strahlformen bei verschiedenen Wehrklappenstellungen, die dynamische Belastung des Wehrkörpers, Leistungsfähigkeit von Hochwasserüberfall und Grundablass untersucht und das Tosbecken dimensioniert werden. Die Talsperre Spremberg dient dem Hochwasserschutz des Spreewalds und der Brauchwasserversorgung der Braunkohlekraftwerke. Sie war eine der ersten Talsperren, die im Flachland gebaut wurden (1958-1964) und ist die viertgrößte deutsche Talsperre bezogen auf die Seenfläche bei Vollstau. Allerdings wurde sie auch damals nicht vollständig entsprechend den Empfehlungen der FAS gebaut, so dass der gleiche Versuchsingenieur nach Fertigstellung des Bauwerks verschiedene Parameter erneut bestimmen und optimieren musste. Das spricht allerdings dafür, dass tatsächlich eine Erfolgskontrolle stattfand. Letztendlich fehlen heute oft Messdaten der ausgeführten Maßnahmen, um auch die Prognose von Modellen nachträglich zu prüfen. Inzwischen wurde die Talsperre Spremberg zwischen 2005 und 2016 generalsaniert (links das Auslaufbauwerk 2018 im Luftbild und rechts das Modell des Tosbeckens 1955).
Häufig sind ähnliche Fragen bei unterschiedlichen Projekten zu beantworten. Dann werden die Erfahrungen mehrer Projekte zusammengeführt und Entwurfs- oder Handlungsempfehlungen abgeleitet. Z. B. nachdem mehrer Hochwasserentlastungen zu bemessen waren, entwickelte die FAS ein nomografisches Verfahren zur Dimensionierung seitlicher Schussrinnen. Offenbar waren früher zumindest im Flussbau dafür mehr Ressourcen vorhanden, die heute für die Erstellung eigener Rechenmodelle eingesetzt werden. Auffällig ist, dass früher die Empfehlungen oft von Abteilungs- oder Referatsleitern abgeleitet wurden, die auch die Forschungsprojekte leiteten. Wenn die Empfehlungen veröffentlicht wurden, findet man sie übrigens im offenen Fachrepositorium rund um den Wasserbau HENRY der BAW z. B. https://hdl.handle.net/20.500.11970/106101.
Auch für die Modelle selbst mussten Methoden festgelegt werden. So kamen für flussbauliche Projekte zwischen 1948 und 1954 sieben Geschiebetransport-Modelle zum Einsatz. Man knüpfte dabei an die Kenntnisse mit gefälleverstärkten Sandmodellen, die vor dem Krieg gesammelt worden waren, an. Dazu führte man vergleichende Untersuchungen an zwei nach dem Krieg noch vorhandenen Modellen durch. Dies betraf u. a. das Modell Schönebeck, Elbe-km 304-309. Zusätzlich zum wiederhergestellten Modell Schönebeck im Maßstab 1:50 (unten links) wurde ein weiteres Modell der Strecke im Maßstab 1:125 aufgebaut, um eine sogenannte „Modellfamilie“ bewerten zu können. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden im Jahr 1954 dann Ähnlichkeitsbeziehungen abgeleitet, die eine Grundlage für künftige Untersuchungen mit gegenständlichen Geschiebetransportmodelle legten. Ein wenig drängt sich der Eindruck auf, dass in der FAS Modelle auch dann mit beweglicher Sohle betrieben wurden, wenn das für die Lösung Aufgabe nicht unbedingt erforderlich war – weil man es so gut konnte.
Die neu gegründete BAW in Karlsruhe betrieb auch viele gegenständliche Modelle, wobei anfangs ebenfalls Hochwasserbetrachtungen eine große Rolle spielten. Z. B. wurden in den 1950er Jahren die Veränderungen der Strömung bei Nutzung des Schleusenkanals für die Hochwasserabfuhr am Wehr Heilbronn an einem Modell im Maßstab 1:25 (unten links) und die Ausbildung von Kolken bei Hochwasser am Modell (1:45) des Wehrs Poppenweiler am Neckar (rechts) untersucht.
Bei einem Rheinmodell bei Emmerich (ca. Rh-km 850) mit fester Sohle fallen die Rauheitselemente ins Auge, die für die Modellähnlichkeit des großen Modellgebietes (Maßstab Länge 1:250, Höhe 1:50) erforderlich waren. Das Modell war 87 m lang und 21 m breit.
Vergleicht man das Gutachten zu einem Pumpspeicherwerk bei Stuttgart (BAW 1961) mit denen von Markersbach (FAS 1968), fällt die ähnliche Gliederung auf. Auch waren die Gutachten früher offenbar ausdrücklich an den Auftraggeber adressiert, so dass allgemeine Ausführungen zum Projekt fehlten. Die Gutachten waren an die Wasserbau-Fachleute gerichtet und beantworteten dadurch sehr knapp die Fragen. Insbesondere im Flussbau enthalten aktuelle Gutachten nun fachliche Einstimmungen oder Erläuterungen für Fachfremde, da sie oft in Beteiligungsprozessen genutzt werden.
Wegen der großen Bedeutung des Geschiebetransports nutzt man an Elbe und Oder auch für umfassende Analysen langer Flussabschnitte Modelle mit beweglicher Sohle, um Regelungsvorgaben auf ihre Aktualität hin zu prüfen und um Wirkungsmechanismen zu erkunden. Während früher die sogenannte „Berliner Methode“ zum Einsatz kam, bei der das Geschiebematerial im Modell mit Sand abgebildet wurde und das Gefälle im Modell verstärkt werden musste, wird heute Kunststoffgranulat benutzt (siehe auch https://blog.baw.de/wp/?m=202108). Zwischenzeitlich kam sowohl in Karlsruhe als auch in Berlin Braunkohlegrus zum Einsatz.
Die beiden Modelle der Oder, Hohensaaten um Od-km 667 (links), Sandmodell von 1953 im Maßstab 1:60 und Hohenwutzen um Od-km 665, Modell mit Polystyrolgranulat von 2005, Maßstab 1:110 (Länge), 1:40 (Höhe) zeigen die Sohlstruktur der wandernden Dünen sehr ähnlich.
Fotos zum Vergleich früherer Vorgehensweisen beim Modellaufbau- und Betrieb mit heute finden sich im Tagungsband „Wissen über das Gestern für Aufgaben von heute“ https://www.baw.de/de/publikationen/tagungsbaende/tagungsbaende.html, in dem auch weitere Ausführungen zur Geschichte der BAW zusammengefasst sind.
Es lohnt sich, frühere Aufgabenspektren, Arbeitsmethoden und Ergebnisse einer geschichtsträchtigen Versuchsanstalt zu kennen. Auch wenn sich heute infolge anderer Anforderungen und Modellmethoden konkrete Arbeitsweisen verändert haben, bleibt die grundsätzliche Aufgabe, die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung bei ihrer Tätigkeit praxisnah zu unterstützen. Unsere traditionsreiche Einrichtung kann dabei auf einen Wissensfundus zurückblicken, der für aktuelle Aufgaben genutzt werden sollte – auch wenn sich jede Generation das Wissen neu erschließen muss. Bisher wurden vorliegende Daten und Kenntnisse aus früheren Untersuchungen und Forschungsprojekten nur wenig genutzt, um z. B. neue Berechnungsmodelle zu validieren. Aber es gibt wenige Beispiele für solche Nachnutzungen. So wurden im Rahmen der eindimensionalen Feststofftransportmodellierung Geschiebetransportformeln auch mit Unterstützung von Modelluntersuchungen der 1950er/60er Jahre und der daraus abgeleiteten Zusammenhänge optimiert.
Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die sich der Zusammenstellung der Fotos und deren Beschreibung widmen.
Verfasst von Petra Faulhaber
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