Die morphodynamische Oder

An einigen der Flüsse, die die BAW in den Blick nimmt, reden wir von einer hohen „Morphodynamik“. Was soll das sein? Morphologie, kennen viele – aber mit unterschiedlicher Bedeutung. Immer geht es aber um Gestalt: von Lebewesen, von Wörtern oder eben von der Erdoberfläche. Zu der gehören auch Flüsse mit ihrem Gewässerboden, ihren Ufern und Vorländern. Die Veränderung dieses Gewässerbetts durch die Strömung und dadurch ausgelöste Umlagerungen von sogenannten Feststoffen (z. B. Sand und Kies) wird in der BAW untersucht, auch um zu helfen, die Flüsse als Verkehrsweg sicher und verlässlich nutzen zu können. Dort, wo die Oder am Rande von Deutschland fließt, wandern im Fluss große Unterwasserdünen, die eine starke Veränderlichkeit des Gewässerbodens im Verlaufe des Jahresgangs hervorrufen.

Meist sieht man diese Veränderungen nicht. Manchmal wachsen jedoch die Dünen oder Bänke (Oberbegriff Transportkörper) so hoch, dass sie kurz unter der Wasseroberfläche sichtbar sind oder bei fallendem Wasserstand sogar aus dem Wasser herausschauen – wie hier am 25.9.2015 im Bereich eines später gebauten Parallelwerks.

Sehr gut kann man Morphodynamik im Bereich eines gerade abgeschlossenen Projektes an der Oder beobachten: https://izw.baw.de/publikationen/bawaktuell/0/BAW_Aktuell_03_2020_Web.pdf Seite 13 und https://www.gdws.wsv.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/_GDWS/WSV_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3 S. 94-95. Bei Reitwein wurden bei Od-km 605 defekte Buhnen durch ein gegliedertes Parallelwerk ersetzt. Obwohl die Baumaßnahme 2019 noch nicht vollständig fertiggestellt war, kann man in den Luftbildern der WSV schon Topografieumgestaltungen erkennen, die auf die neuen Bauwerke zurückzuführen sind. So hat sich zum Beispiel zwischen zwei Parallelwerksöffnungen in Folge der dort kräftigen Strömung eine Rinne gebildet, die am 9.7.2019 bei Niedrigwasser noch durchströmt wird. Im unteren Bild erkennt man auch, dass hinter dem Parallelwerk das sandig-kiesige Bodenmaterial in Form von kleinen Dünen bewegt wird.

Zur Rinne strömt Wasser durch die oberstromige Öffnung im Parallelwerk und durch die nächste unterstromige Öffnung wieder dem Hauptstrom zu. Je nach Größe des Abflusses in der Oder bestehen auch Strömungsverbindungen mit anderen ufernahen Bereichen und dieser Rinne bzw. wird der Bereich hinter dem Parallelwerk komplett überströmt.

Bei den Prognose-Untersuchungen der BAW an einem aerodynamischen Analogie-Modell konnten sich solche Rinnen nicht entwickeln, da der Modellboden aus unveränderlichem Material geformt wurde. Gleichwohl wurde die sohlennahe Strömung mit Hilfe von weißen Talkum-Tracern auf diesem schwarzen Modellboden aufgezeigt. Daraus konnte man eine Topografieumbildung abschätzen. In aerodynamischen Modellen wird das fließende Wasser mit Hilfe einer Luftströmung simuliert, blau sind Parallelwerk und andere neue Bauwerke. BAW-Untersuchungen siehe auch https://hdl.handle.net/20.500.11970/103847

Im Vergleich der Fotos von April (links) und Juli 2019 (rechts) bei mittlerem und niedrigem Abfluss erkennt man, dass sich bei steigendem Abfluss der Fluss weiterhin auch hinter dem Parallelwerk ausbreiten und den Gewässerboden dort gestalten kann. Rinnen mit unterschiedlicher Richtung sind die Folge. Diese entstehen aus der Wechselwirkung zwischen Ausgangsgeometrie, Strömungsangriff und erneuter Umlagerung des anstehenden Materials sowie dem Widerstand gegen die Umlagerung (z. B. durch Bewuchs). Dadurch kann die hohe morphologische Dynamik erhalten bleiben, die sich bei den zerstörten Buhnen gebildet hat und die diesem Uferbereich eine hohe ökologische Bedeutung gibt.

Im Bild oben rechts (Juli 2019) verhindert eine Sandbank im Fluss bei Niedrigwasser den Zulauf zur Einlaufschwelle. Dass im April 2019 Wasser einströmte, sieht man links gut an dem Strömungsmuster an der Wasseroberfläche und der Verformung der hinter der Einlaufschwelle unter Wasser erkennbaren Sandbank.

Man darf gespannt sein, welche Veränderungen sich in der Zukunft zeigen und welche Kenntnisse wir bei der Erfolgskontrolle gewinnen werden.

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