Jul, 2020

Nostalgischer Blick auf 2019

Für diejenigen, die in der Forschung tätig sind, wird 2020 ein ungewöhnliches Jahr ohne Konferenzen, Workshops und Kongresse sein. Einige von ihnen sind online gegangen; es wird jedoch viel verpasst, wenn persönliche Gespräche und Kontakte von Angesicht zu Angesicht fehlen. Ich blicke mit ein wenig Wehmut auf das Jahr 2019 zurück, als die BAW mir die Gelegenheit gab, an zwei der wichtigsten Konferenzen im Bereich der angewandten Probabilität im Bauwesen teilzunehmen: die International Conference on Application of Statistics and Probability in Civil Engineering (ICASP) in Seoul und die European Safety and Reliability Conference (ESREL) in Hannover. Die erste Konferenz findet in der Regel alle vier Jahre in Asien oder in Amerika statt, obwohl sie von internationalen Wissenschaftlern aus aller Welt besucht wird, die auf den Gebieten Sicherheit, Risiko, Resilienz und Zuverlässigkeit ziviler Infrastrukturen forschen. Sie gibt einen Überblick über den Stand der Forschung in Ländern, die von Naturkatastrophen und Klimawandel stark betroffen sind. Die Aufmerksamkeit wird auch auf die Alterung der zivilen Infrastrukturen gerichtet, ein Problem, das endlich als eine der größten Herausforderungen moderner Gesellschaften erkannt wurde. Die zweite Konferenz findet jedes Jahr in Europa statt: Die Themen sind ähnlich der Erstgenannten, aber der Schwerpunkt liegt auf Systemen wie Kernkraftwerken oder Stromnetzen. Techniken der künstlichen Intelligenz sind in diesem Bereich bereits implementiert, aber es finden oft harte Debatten über die Wirksamkeit solcher Ansätze statt.
In Seoul hatte ich die Gelegenheit Hiba Baroud, Assistenzprofessorin für Bau- und Umweltingenieurwesen und Littlejohn Dean’s Faculty Fellow an der Vanderbilt University (Nashville, USA), zu treffen. Sie kam auf mich zu und war überrascht, eine Forscherin auf dem Gebiet der Resilienz von Wasserstraßeninfrastrukturen zu treffen, dem Thema ihrer Doktorarbeit. Es versteht sich von selbst, dass sich daraus sofort eine Freundschaft entwickelte!
Dr. Baroud hat an der University of Oklahoma in Industrial and System Engineering promoviert. Sie hat einen Master of Mathematics vom Department of Statistics and Actuarial Science an der University of Waterloo, wo sie sich in ihrer Forschung auf die Anwendung von Statistiken, insbesondere Zeitreihenmodellen, zur Analyse von Finanzdaten konzentrierte. Davor erwarb sie ihren B.S. in Aktuarwissenschaften an der Notre Dame University, Libanon.
Ihre Arbeit beschäftigt sich mit Datenanalyse und statistischen Methoden zur Messung und Analyse von Risiko, Zuverlässigkeit und Resilienz in kritischen Infrastruktursystemen. Insbesondere hat sie datengesteuerte Bayes’sche Methoden untersucht, um das Auftreten von Störereignissen in Infrastruktursystemen vorherzusagen und den Wiederherstellungsprozess des physisch gestörten Systems sowie indirekt betroffener Systeme stochastisch zu modellieren. Sie entwickelte auch Entscheidungsanalyse-Tools, um verschiedene Strategien zur Vorbereitung und Wiederherstellung von Investitionen für den Schutz ziviler Infrastrukturen zu bewerten.
Sie hat mehrere Publikationen verfasst und mitverfasst, von denen einige für unser Forschungsprojekt über die Resilienz der westdeutschen Kanäle (PREVIEW) relevant sind. Wir trafen uns wieder bei der ESREL in Hannover, und ich lud sie ein, die BAW zu besuchen und einige ihrer Ergebnisse in einer informellen Diskussion zu erläutern, insbesondere die Ergebnisse zur Resilienz und Risikobewertung und zur Entscheidungstheorie
Dr. Baroud besuchte zunächst die wasserbaulichen Versuchshallen der BAW mit den physikalischen Modellen. Sie war beeindruckt von den Möglichkeiten der BAW, dem Maßstab der Modelle und der Komplexität der Untersuchungen. Sie freute sich auch über die freundliche Atmosphäre in den Hallen und die Kollegen vor Ort, die gerne ihre Fragen beantworteten.
Nach dem Besuch der Versuchseinrichtungen folgte eine Diskussion, zu der alle Projektpartner von PREVIEW und die Kollegen von B4 eingeladen waren. Die Themen, die in der Sitzung besonders diskutiert wurden, waren die Maßnahmen zur Risiko und Resilienz des Infrastrukturnetzes und die multikriterielle Entscheidungsfindung bei gegebenen Resilienzmaßnahmen.
Schließlich gab uns Dr. Baroud einen Einblick in ihr neues Projekt über die Binnenschiffbarkeit und die Binnenschifffahrt in Bangladesch. Das Wasserstraßensystem in Bangladesch ist ein komplexes Netz, das durch das Ganges-Brahmaputra-Meghna Delta repräsentiert wird. Die Wirtschaft des ganzen Landes hängt stark vom Wasserstraßensystem ab, jedoch ist die Schiffbarkeit des Systems durch mehrere Faktoren gefährdet, wie z.B. den Transport von Sedimenten und Erosionen, die oft mit der globalen Erwärmung und dem Klimawandel zusammenhängen. Dr. Baroud und die anderen Projektbeteiligten konzentrierten sich zunächst auf die Entwicklung einer Karte, die die wichtigsten Wasserstraßen und Binnenhäfen von Bangladesch darstellen soll. Diese Aufgabe wurde mit Hilfe verschiedener Datenquellen wie Satellitenbildern, Volkszählungs- und Navigationsdaten gelöst. Laut Dr. Baroud muss Bangladesch definitiv mehr Kanäle aufbauen und die Baggertechniken verbessern, um die Wasserwege besser zu verwalten. Solche Entscheidungen können aus Ihrer Sicht nicht ohne wissenschaftliche und fundierte Forschung getroffen werden.
Weitere Informationen über die von Dr. Baroud durchgeführten Forschungsprojekte finden Sie auf ihrer persönlichen Homepage: https://engineering.vanderbilt.edu/bio/hiba-baroud
Ich hoffe, dass ich bald die Gelegenheit haben werde, Hiba wieder zu treffen und andere begeisterte Forscher wie sie kennen zu lernen. Dies ist nämlich auch ein wesentlicher Teil der Forschungsarbeit.

Verpasste Gelegenheit

Eine für den September 2020 organisierte gemeinsame Tagung  der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft https://www.dwhg-ev.com mit und in der Bundesanstalt für Wasserbau musste abgesagt werden.

Wissen über das Gestern für Aufgaben von heute

Herstellen des Faschinenunterbaus einer Buhne, historisches Bildarchiv der BAW

Da die Organisation der Tagung weit fortgeschritten war, möchte ich hier auf einige der für die Tagung geplanten Themen hinweisen, da sie so auch später nicht stattfinden wird. Vielleicht stöbern Sie dann selbst ein wenig mit Hilfe der benannten Links und werden auch neugierig auf unsere nächsten Tagungen, die sich mit Sicherheit wieder spannenden Themen widmen werden. Vorbereitet war eine Tagung über die Transformationen des Wissens am Beispiel von Infrastrukturprojekten am Rhein seit Johann Georg Tulla (1770-1828) bis zu aktuellen Planungen. Der 250. Geburtstag des badischen Ingenieurs Johann Gottfried Tulla und der sich um seine „Zähmung“ des Rheins rankende Mythos war der Anlass, auf heutige wasserbauliche Infrastrukturprojekte zu blicken. Im Folgenden möchte ich einen Blick auf einige geplante Vorträge werfen.

Im Spiegel des Wassers – Eine transnationale Umweltgeschichte des Oberrheins  (1800-2000)

Prof. Dr. Christoph Bernhardt (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung)

Die Gedanken von Prof. Bernhardt lassen sich in der gleichnamigen Veröffentlichung  der Umwelthistorische Forschungen, Band 5. (Köln Weimar Wien: Böhlau, 2016, 569 S.) nachvollziehen. „Das zentrale Anliegen des auf der Habilitationsschrift Bernhardts basierenden Buches ist es, Grundfragen zum Verhältnis von Umweltgeschichte und sozialer Raumentwicklung zu analysieren. Zu diesen Grundfragen zählen etwa die Entwicklung wasserbaulicher Techniken, kollektive Verhaltensmuster in den Rheindörfern, Legenden um Ingenieure, Budgetdebatten um Wasserbauvorhaben und Konflikte zwischen Städten und Regierungen. Das Buch untersucht über das in seiner Zeit gigantische Begradigungsunternehmen hinaus auch die späteren Großprojekte zum Umbau des Oberrheins, von der Regulierung des Flussbetts im frühen 20. Jahrhundert über die Wasserkraftgewinnung in den 1920er Jahren bis zur Auenrenaturierung des späten 20. Jahrhunderts. “ (https://leibniz-irs.de/aktuelles/meldungen/2016/08/im-spiegel-des-wassers-eine-transnationale-umweltgeschichte-des-oberrheins-1800-2000/)

Akkumulationsstrecke Iffezheim – Speyer

Dipl.-Ing.(FH) Peter Hörter (Fachstelle für Gewässerkunde bei der Generaldirektion  Wasserstraßen und Schifffahrt), Dr.-Ing. Andrea Wahrheit-Lensing  (BAW)

Der Streckenabschnitt des Oberrheins von Iffezheim bis Mainz ist seit dem frühen 19. Jahrhundert von Ausbaumaßnahmen betroffen. Auch wenn die Tullasche Korrektur, die Begradigung des Rheins, von 1817 bis 1876 datiert wird, sind viele weitere Maßnahmen bis in die heutige Zeit erfolgt, um zum einen den von Tulla geplanten Zustand herzustellen, zum anderen die Folgen daraus zu bewältigen. So nehmen auch der Bau und die Anpassung von Buhnen zur Niedrigwasserregelung eine große Zeitspanne ein, die von 1907 bis heute andauert. Die Überlagerung verschiedener Einflussfaktoren, wie z. B. die Entwicklung von Maßnahmenwirkungen oft über Jahrzehnte hinweg, die abflussabhängige Sohlenmorphologie, die im Laufe der Zeit veränderliche Abflussaufteilung zwischen Vorland und Hauptstrom im Fall ausufernder Abflüsse oder der sukzessiven Veränderung der Vorlandstrukturen, erschwert immer wieder die Unterhaltung in der Strecke und die Prognose der Streckenentwicklung. Nach dem Bau der Staustufen im Oberrhein wird seit 1978 eine Geschiebezugabe unterhalb von Iffezheim benötigt, um die Sohlenlage unterhalb der staugeregelten Strecke zu halten, da der natürliche Geschiebedurchtransport an dieser Stelle unterbrochen ist. Eine Übersicht über die Ausbauarbeiten kann Kompendium der Wasserstraßen- und Schifffahrtsdirektion Südwest, Mainz, 2007 mit vielen weiteren Informationen https://hdl.handle.net/20.500.11970/105062) entnommen werden.

Die nunmehr seit fast 200 Jahren andauernden flussbaulichen Maßnahmen lassen sich auch in den Veränderungen der Wasserstände am Pegel Maxau erkennen. In den ersten ca. 50 Jahren nach Beginn der Korrektionen führten diese zu Absunk, danach und bis heute zur Erhöhung der Wasserstände für Niedrig-, Mittel- und Hochwasser. Mit der Einrichtung der Projektgruppe „Regulierungsbereich Iffezheim-Mainz“ wurde seitens der WSV im Jahre 2017 ein auf längere Zeit ausgerichtetes Projekt gestartet, welches bis 2027 die erforderliche Datengrundlage für weiterführende Untersuchungen schaffen und damit die hydraulisch-morphologische Optimierung der Strecke von Iffezheim bis Mainz im Rahmen der Erfolgskontrolle Rhein ermöglichen soll. Die Vorgehensweise ist mit Blick auf zukünftige Entwicklungen ausgerichtet, Datendefizite aus der Vergangenheit lassen sich damit nicht ausräumen.

Veränderung der niedrig-, Mittel- und Hochwasser am Pegel Maxau zwischen 1872 und 2010

Über den Rhein vor den Toren von Karlsruhe gibt es einen nicht nur informativen sondern auch sehr ästhetischen Film https: //www.youtube.com/watch?v=UEqNfYc1EuI  Beinahe ersetzt der Film die geplante Exkursion um Karlsruhe – und die „Tomateninseln“ aus dem folgenden Beitrag sind ebenfalls zu sehen.

Neue Inseln, dynamische Ufer und durchströmte Rheinarme am Oberrhein

Dr. Jost Armbruster (Regierungspräsidium Karlsruhe)

Vor der Regulierung gab es am Rhein viele tausend Inseln, mehr oder weniger durchströmte Flussarme, Sand- und Kiesufer. Mit der Regulierung gingen diese verloren. Tier- und Pflanzenarten, die auf diese Flächen angewiesen sind, gingen im Bestand stark zurück. Wegen des Ausbaus der meisten Flüsse in Europa sind viele Arten inzwischen europaweit bedroht. Im Rahmen des Europäischen LIFE+-Projektes „Rheinauen bei Rastatt“ wurden am Oberrhein drei Inseln  neu geschaffen. Zwei Altrheinarme werden wieder stärker durchströmt und Uferstrecken aktiv der dynamischen Entwicklung überlassen. Informationen zum LIFE+ Projekt „Rheinauen bei Rastatt“ erhalten Sie unter www.rheinauen-rastatt.de

Über das Wirken Karlsruher Wasserbauers Theodor Rehbock am Rhein und seinen Nebenflüssen. Ein Überblick anhand der Überlieferung im Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie

Dr. Klaus Nippert (Karlsruher Institut für Technologie  – KIT – Archiv)

Herr Nippert ist Leiter des KIT-Archivs,  das das Langzeitgedächtnis des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ist und in dem Informationen zur Geschichte der Einrichtungen sowie zu den Personen, die hier gelehrt, geforscht oder studiert haben, aufbewahrt werden (https://www.archiv.kit.edu/index.php). In der BAW ist Theodor Rehbock (1864-1950) insbesondere als Gründer des später nach ihm benannten Flussbaulabors in der TH Karlsruhe bekannt. Der im KIT-Archiv verwahrte Fotonachlass von Theodor Rehbock zeigt aber auch Aspekte seines Wirkens in Deutsch-Südwestafrika eingeordnet in den Archivführer  Deutsche Kolonialgeschichte. Auf diesen Teil der deutschen Geschichte wird gerade aktuell ein kritischer Blick gelenkt.

Lok im Rhein – Die Lok, die aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wird

Prof. i. R. Dr. Bernhard Forkmann (TU Bergakademie Freiberg)

Vor über 160 Jahren versank im Rhein bei Germersheim die Dampflokomotive „Rhein“. Die Suche nach der 1852 versunkenen Keßler-Lok 205 ist unmittelbar verknüpft mit dem Wandel einer Flusslandschaft im Zuge des Jahrhundertprojekts Tullas zur Rektifizierung des Rheins. Dabei konnten und mussten sich geophysikalische Methoden bewähren. Auch Rückschläge wie der gescheiterte Bergungsversuch von 2018 ließen das Suchteam nicht aufgeben. Nach einer erfolgreichen Bergung wäre die Lok „Rhein“ immerhin die älteste erhaltene Dampflok Deutschlands. Die Lok wurde 1852 in Karlsruhe bei der „Maschinenbau-Gesellschaft Emil Keßler“ für die Düsseldorf – Elberfelder Eisenbahngesellschaft gebaut. Der für den Transport eingesetzte Segler „Stadt Coblenz“ geriet in der Nähe der Stadt Germersheim in einen schweren Sturm, die Ladung verrutschte und die Lok versank. Mehr Informationen finden Sie unter  https://www.bahnwelt.de/projekte/lok-rhein

Engpassanalyse am Jungferngrund

Dipl.-Ing. Thorsten Hüsener (BAW)

Ein Ausgangspunkt für die Organisation einer gemeinsamen Tagung von DWhG und BAW in Karlsruhe, war das Interesse an einem gerade in einer großen Wasserbauhalle betriebenen Modell des Rheins im Bereich des Jungferngrunds. Das Modell ist Teil einer Untersuchung, mit dem die BAW das Projekt „Abladeoptimierung Mittelrhein“ der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) unterstützt. Das lang anhaltende Niedrigwasser im Jahr 2018 mit der damit einhergehenden Einschränkung der Rheinschifffahrt hatte die Bedeutung einer Entschärfung der Tiefenengpässe zwischen Mainz und St. Goar verdeutlicht. Einen ausführlichen Bericht zu den verschiedenen Untersuchungen der BAW findet man unter https://izw.baw.de/publikationen/geschaeftsberichte/0/BAW_Geschaeftsbericht_2018_web.pdf

Für die hydraulisch-morphodynamischen Untersuchungen wurde ein hybrider Modellierungsansatz gewählt, bestehend aus einem dreidimensionalen numerischen Strömungsmodell und einem gegenständlichen Geschiebetransportmodell mit teilbeweglicher Sohle. Das gegenständliche Modell (Längenmaßstab 1:60, Höhenmaßstab 1:50) bildet die Strecke bei Oberwesel, Rhein-km 549,0 bis 553,4 ab und erstreckt sich im Labor über insgesamt 85 m mit allen Ein- und Auslaufbauwerken. Die stark zerklüftete Felssohle im Untersuchungsgebiet hat einen signifikanten Einfluss auf die hydraulische Rauheitswirkung und die morphologischen Prozesse. Um die hochaufgelösten Sohldaten in Felsbereichen im gegenständlichen Modell zu berücksichtigen, wurde ein neues Herstellungsverfahren unter der Verwendung von CNC-gefrästen Formbauteilen entwickelt. Die Bereiche der Sohle, die eine Auflage aus Sand und Kies aufweisen,  wurden mit verschiedenen Kunststoffgranulaten unterschiedlicher Dichte aufgebaut, um die verschiedenen Geschiebefraktionen nachzubilden.

Modell mit Felsbereichen und Kiesbank. Rote Sedimentablagerungen entsprechen einem mittleren Kies, weiße einem Grobkies

„Zukunft Eider“ – erfolgreiche Geräteerprobung am Eider-Sperrwerk

Im Rahmen des Projektes „Zukunft Eider“ hat die Naturmessgruppe der BAW Hamburg in Zusammenarbeit mit dem WSA Tönning und dem Ingenieurbüro IMP Ingenieure, Oldenburg erfolgreich eine Geräteerprobung am Eider-Sperrwerk an der schleswig-holsteinischen Westküste durchgeführt. Es sollte ein Verfahren erprobt werden, mit dem nah am Bauwerk Durchflussmengen und Strömungsgeschwindigkeiten über den gesamten durchströmten Querschnitt erfasst werden.

Luftaufnahme Eider-Sperrwerk mit Messprofil für die Geräteerprobung (Quelle: BAW)

Hierfür sollen akustische Strömungsprofiler (ADCP) eingesetzt werden, die über den Messquerschnitt geführt werden. Dies ist mittlerweile ein Standard-Verfahren für derartige Fragestellungen.

Unter den gegebenen Randbedingungen stellen sich allerdings besondere Herausforderungen:

Zum einen findet die Messung in einem Bereich statt, der aus Sicherheitsgründen für Wasserfahrzeuge gesperrt ist. Dies bedeutet, dass eine unbemannte Trägerplattform eingesetzt werden muss, auf der die Messtechnik inklusive Datenerfassung und Stromversorgung untergebracht ist. Mittlerweile sind zahlreiche für diesen Zweck konzipierte autonome Fahrzeuge auf dem Markt verfügbar. Aufgrund der genannten Sicherheitsaspekte und der schwierigen Strömungsverhältnisse kommt diese Lösung jedoch nicht in Betracht. Ein Verdriften der Trägerplattform in das Sperrwerk muss auf jeden Fall vermieden werden. Deshalb wurde eine mobile Seilbahnanlage entworfen und gefertigt, die den Messquerschnitt mit einer Länge von ca. 350 m (!) überspannt. An dieser Anlage wird mittels einer Umlaufwinde die (ebenfalls selbst entworfene) Trägerplattform mit der Messtechnik geführt.

Geräteträger und Seilbahnanlage im Einsatz am Eider-Sperrwerk

Zum anderen dienen die Tests der Überprüfung, ob die eingesetzte ADCP-Messtechnik bei den schwierigen Strömungsbedingungen plausible Ergebnisse liefert. Bei einem Tidenhub von ca. 3 m treten nicht nur starke Gezeitenströmungen in beiden Richtungen des Eider-Sperrwerkes auf. Zusätzlich wird die Tide im Normalbetrieb durch das teilweise Schließen der Wehrtore gedrosselt, und zwar sowohl im Flutstrom (landeinwärts) als auch im Ebbstrom (seewärts). Hierdurch entstehen starke Verwirbelungen und Turbulenzen, die eine Messung mit akustischen Verfahren (ADCP) erschweren.

Die durchgeführten Tests haben ergeben, dass die ADCP-Messtechnik überwiegend gute und verwertbare Ergebnisse liefert. Lediglich in Phasen der voll entwickelten Tideströmung muss im strömungsabgewandten Bereich (lee-seitig) des Sperrwerks mit so starken Störungen gerechnet werden, dass die Messungen nicht verwertbar sind.

In dem nun erstellten Messkonzept wird daher vorgeschlagen, auf beiden Seiten des Sperrwerkes parallel zu messen, so dass man auf jeden Fall mindestens auf einem Messquerschnitt valide Strömungs- und Durchflussdaten erfasst.

ADCP-Querprofil während Flutstrom. Oben: Vertikalprofil der Strömungsgeschwindigkeit, die Strömungsschatten der Bauwerkspfeiler zeichnen sich deutlich ab. Unten: Lageplan mit eingezeichneten Geschwindigkeitsvektoren (tiefengemittelt).

Dieses Messkonzept wird nun gemeinsam mit den Kooperationspartnern der BAW im September 2020 in einem einwöchigen Untersuchungsprogramm umgesetzt, bei dem jeweils über den Zeitraum einer Tide (ca. 12,5 Stunden) die Strömungs- und Durchflussverhältnisse zu verschiedenen Betriebszuständen erfasst werden. Begleitend wird über den Zeitraum von ca. 4 Wochen gemeinsam mit dem WSA Tönning ein Netz aus 5 Unterwasserverankerungen in der Tideeider ausgebracht, mit dem gewässerphysikalische Zustandsgrößen wie Strömung, Salzgehalt, Temperatur und Sauerstoffgehalt gemessen werden.

Verfasst von Christian Maushake

Ich bin seit 1989 bei der BAW angestellt und beschäftige mich seit Mitte der 90-er Jahre mit Naturmessungen in Küstengewässern und Ästuaren, schwerpunktmäßig mit der Erhebung von Validierungsdatensätzen für die numerische Simulation